Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Wirksamwerden einer arbeitsrechtlichen Kündigung, § 623 BGB. ► Anforderungen an die Schriftform, § 126 BGB. ► Zugang von schriftlichen Willenserklärungen unter Anwesenden, § 130 BGB analog
BAG Urteil vom 4. 11. 2004 (2 AZR 17/04) www.Bundesarbeitsgericht.de = NZA 2005, 513 = JuS 2005, 767
Fall (Kopie statt Original)
A war im Werk W des B-Unternehmens als Mechaniker beschäftigt. B geriet in wirtschaftliche Schwierigkeiten und musste das Werk W schließen. Nachdem zwischen B und dem Betriebsrat ein Interessenausgleich geschlossen worden war, sollte einer größeren Zahl von Arbeitnehmern, darunter auch dem A, aus betriebsbedingten Gründen gekündigt werden, wobei vom Bestehen betriebsbedingter Kündigungsgründe auszugehen ist. Die Originalkündigungsschreiben wurden von B unterschrieben. Ihre Aushändigung am 28. 8. erfolgte so, dass der Betriebsleiter H einen Stapel Originalkündigungsschreiben sowie einen Stapel Kopien vor sich hatte. Den Arbeitnehmern sollte das Original überreicht und von ihnen der Empfang auf der Kopie, die beim Arbeitgeber verblieb, bestätigt werden. Bei den meisten Arbeitnehmern wurde auch so verfahren. Bei 28 von ihnen, darunter A, wurden irrtümlich Original und Kopie vertauscht: Der Vermerk über die Empfangsbestätigung wurde auf dem Original angebracht. Dieses wurde A vorgelegt, von ihm unterschrieben und zurückgegeben. Zum Verbleib ausgehändigt wurde A die Kopie. Als A das bemerkte, machte er die Unwirksamkeit der Klage mittels einer Kündigungsschutzklage geltend, die er in zulässiger Weise, insbesondere fristgemäß erhob. Ist die Klage begründet ?
Die Kündigungsschutzklage wurde mit dem Antrag erhoben festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 28. 8. nicht beendet worden ist. Diese Klage ist begründet, wenn die Kündigung vom 28. 8. nicht rechtswirksam war.
I. Nach § 623 BGB bedarf die Kündigung eines Arbeitsvertrages der Schriftform; die elektronische Form ist ausgeschlossen. Für die Schriftform ist erforderlich, dass die Erklärung vom Aussteller eigenhändig unterschrieben wurde (§ 126 I; damit wird allerdings eine Vertretung nicht ausgeschlossen; bei dieser muss der Vertreter unterschreiben). Die weitere Voraussetzung des § 126 II (Unterzeichnung beider Parteien, „Prinzip der einheitlichen Vertragsurkunde“) greift nur bei einem Vertrag ein und nicht bei der Kündigung als eines einseitigen Rechtsgeschäfts. Im vorliegenden Fall war die Kündigungserklärung des B gegenüber A von B unterschrieben worden; § 126 I wurde somit beachtet. Folglich wurde die Kündigungserklärung formgerecht abgegeben.
II. Die Kündigung muss auch gegenüber A wirksam geworden sein. Sie ist eine gegenüber A abzugebende, empfangsbedürftige Willenserklärung.
1. Das Wirksamwerden einer empfangsbedürftigen Willenserklärung, dieeinem Abwesenden gegenüber abgegeben wird, richtet sich nach § 130 BGB („Empfangstheorie statt Vernehmungstheorie“, Weiler JuS 2005, 790 unter a). Im vorliegenden war A als Empfänger der Willenserklärung nicht abwesend, sondern anwesend.
2. Das Wirksamwerden der – mündlichen oder schriftlichen – Willenserklärung gegenüber einem Anwesenden ist im Gesetz nicht geregelt.
Nach h. M. wird eine mündliche („nichtverkörperte“) Erklärung wirksam, wenn der Empfänger sie akustisch richtig vernommen hat (Vernehmungstheorie, Weiler JuS 2005, 791 unter a; BGH WM 1989, 652). Bei ihr fallen Abgabe und Zugang praktisch zusammen. Nach dem Rechtsgedanken des § 147 I 2 gilt das auch für telefonische Erklärungen.
Im vorliegenden Fall handelte es sich um eine schriftliche (verkörperte) Erklärung. Bei ihr besteht kein wesentlicher Unterschied zu einer schriftlichen Erklärung unter Abwesenden. Deshalb kommt hier § 130 BGB analog zur Anwendung; es gilt die Empfangstheorie (Weiler JuS 2005, 791 unter b); die Willenserklärung wird wirksam mit Zugang. BAG unter B I 2a): Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass eine verkörperte Willenserklärung unter Anwesenden zugeht (und damit entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam wird), wenn sie durch Übergabe in den Herrschaftsbereich des Empfängers gelangt (…BGH NJW 1998, 3344; MünchKomm/Einsele, 4. Aufl. § 130 Rdnr. 27…).
a) Diese Voraussetzung liegt zweifellos vor bei der Kopie der Kündigungserklärung, da A diese erhalten hat und behalten konnte. Jedoch muss bei der Schriftform die Urkunde mit Originalunterschrift, d. h. das Original, übergeben werden. Eine Kopie reicht nicht aus (Boemke JuS 2005, 767). Folglich kann nicht auf die Übergabe der Kopie abgestellt werden.
b) Im Hinblick auf die Originalurkunde ist zu prüfen, ob sie hinreichend in den Herrschaftsbereich des A gelangt ist. BAG unter B I 2c und d): Für den Zugang einer verkörperten Erklärung unter Anwesenden genügen die Aushändigung und Übergabe des Schriftstücks, so dass der Empfänger in der Lage ist, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen… Im vorliegenden Fall hat der Beklagte die Kündigungserklärung in der verkörperten Form des Originalschreibens durch seinen Erklärungsboten dem Kläger übergeben. Dieser hat die Willenserklärung abgegeben, indem er dem Kläger das Schreiben zur Unterschrift vorgelegt hat. Er hat seine tatsächliche Verfügungsgewalt aufgegeben, und der Kläger hat die tatsächliche Verfügungsgewalt über dieses Schreiben erlangt. Es ist auch davon auszugehen, dass A die Kündigungserklärung durchlesen konnte, da er nicht geltend macht, er sei genötigt worden, sie ohne Kenntnisnahme „blind“ zu unterschreiben.
c) BAG unter B I 2f): Ob der Kläger das Originalkündigungsschreiben tatsächlich gelesen hat, ist unerheblich. Für den Zugang genügt es, dass die Erklärung in den Bereich des Empfängers gelangt und dieser die Möglichkeit hat, von ihr Kenntnis zu nehmen. Das muss insbesondere im vorliegenden Fall gelten, in dem die Kopie im Besitz des A verblieb, so dass dieser die Kündigung noch im Einzelnen zur Kenntnis nehmen konnte. (Da es in den Fällen schriftlicher Erklärung auf die wirkliche Kenntnisnahme nicht ankommt, kann von einem Zugang auch bei absichtlicher Zugangsverhinderung ausgegangen werden, Weiler JuS 2005, 792 unter a).
c) Auch ist nicht erforderlich, dass der Empfänger die Verfügungsgewalt über das Schriftstück dauerhaft erlangt hat (BAG unter B I 2b). Es ist also unerheblich, dass A die quittierte Original-Kündigungserklärung an B zurückgegeben hat.
3. Somit ist dem A die Originalkündigung zugegangen. Sie ist analog § 130 I wirksam geworden.
III. Eine Unwirksamkeit nach § 1 KSchG liegt nicht vor, weil lt. Sachverhalt vom Vorliegen betriebsbedingter Gründe für die Kündigung auszugehen ist. Die Kündigung ist somit rechtswirksam, die Kündigungsschutzklage ist unbegründet.
Zusammenfassung